Wenn wir Urlaub oder einen Tag frei haben, haben wir auch tatsächlich frei. Wir nutzen die Zeit, um uns von der Arbeit zu erholen. Um uns im Sport auszupowern, die Natur zu genießen, oder um Zeit mit unseren Lieben zu verbringen. Regeneration ist ein menschliches Grundbedürfnis. Wir haben gemäß Artikel 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein Recht auf Freizeit und Urlaub. In unserer Freizeit werden wir vom Arbeitgeber nicht gestört. Aber wussten Sie, dass diese Selbstverständlichkeit für eine große Gruppe Arbeitnehmer in Deutschland nicht gilt?
Um Ausfälle und Lücken im Dienstplan zu kompensieren, wird von Arbeitgebern in der Pflege immer wieder an die individuelle Flexibilität der Mitarbeiter appelliert („einspringen“). Ihre Verantwortung und ihr Pflichtgefühl sind so groß, dass sie schwer ʺNeinʺ sagen können. Durch das ständige Einspringen, die mangelnde Planbarkeit der Arbeit und die Angst, aus der Freizeit zum Dienst gerufen zu werden, bleiben Erholung und Privatleben für Pflegekräfte auf der Strecke. Das schadet auch Arbeitgebern. Ausgebrannte Pflegekräfte können Patienten gegenüber kaum noch Empathie zeigen (Qualitätsverlust). Manche Krankenhäuser müssen Betten schließen, da nicht genügend Pflegekräfte vorhanden sind (Erlösverlust).
Peter van der Meulen
Die steigende Komplexität der Patientenfälle und kürzere Verweildauer erfordern immer mehr Flexibilität von Gesundheitsunternehmen. Und sie legen Defizite bei der Dienstplanung bloß. Viele Dienstpläne sind der Dynamik des Pflegealltags nicht mehr gewachsen. Führungskräfte beschäftigen sich oft mehr als 50% ihrer Zeit mit Ausfallmanagement. Unverlässliche Dienstpläne erhöhen den Druck auf die Mitarbeiter zusätzlich.
In den Niederlanden wurde der Teufelskreis aus Personalmangel und defizitären Planungsprozessen vor 15 Jahren durch systemisches Flexibilisieren durchbrochen. Dabei wird eine zentrale, auf die Größe und den Bedarf der Organisation abgestimmte flexible Personalreserve (z.B. ein „Flexpool“) aufgebaut, auf die bei Abwesenheiten zugegriffen werden kann. Um flexibel auf Ausfall und Personalmangel reagieren zu können, muss nicht mehr an die individuelle Flexibilität der Mitarbeiter appelliert, sondern kann auf systemische Flexibilität der Organisation zugegriffen werden.
Systemisch flexibilisieren ist mehr als „einen Pool aufbauen“. Und ein Flexpool als Bestandteil systemischer Flexibilität ist kein Pool mit einigen wenigen flexiblen Mitarbeitern, die ständig überall Feuerchen löschen müssen, sondern besteht aus einer sorgfältig zusammengestellten Grundmasse von Mitarbeitern mit verschiedenen Qualifikationen und individuellen Arbeitszeiten, die in ihrer Ganzheit den Kompensierungsbedarf abdecken.
Systemische Flexibilität hat sich in den Niederlanden als wirksames Instrument zur Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit, und somit der Arbeitgeberattraktivität, bewährt. Sie bietet Mitarbeitern mit individuellen Arbeitszeitwünschen passende und abwechslungsreiche Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig gewährleistet sie Stabilität für die Festbesetzung, denn einspringen ist nicht mehr erforderlich. So können alle ihr Privat- und Arbeitsleben miteinander im Einklang bringen und bedeutet „frei“ wirklich „frei“! Systemisches Flexibilisieren ist mitarbeiterorientiertes Flexibilisieren.
Viele deutsche Krankenhäuser haben einen „Springerpool“ mit einigen Mitarbeitern. Diese können meist nicht alle Ausfälle bewältigen und sind schnell überfordert. Systemische Flexibilität kann nur hergestellt werden, wenn die Flexreserve groß genug ist, um den Ausfall tatsächlich zu kompensieren. Wenn von 1.000 Vollzeitstellen im Durchschnitt 15% durch Krankheit, Fortbildung, Elternzeit usw. ausfallen, müssen grundsätzlich 150 flexible Vollzeitstellen zur Kompensierung zur Verfügung stehen. In den Niederlanden sind Flexpools mit mehreren Hunderten Mitarbeitern normal.
Ausfälle werden häufig mit Überstundenleistungen und Zeitarbeit kompensiert. Aber das reicht in der Regel auch nicht aus. Und so müssen im Dienstplan jede Woche, jeden Tag wieder Dienste verschoben und Mitarbeiter aus dem Frei zum Dienst gerufen werden. Hinzu kommt, dass Zeitarbeiter doppelt so viel kosten wie eigene Mitarbeiter.
Das Konzept „Frei-ist-frei“ wurde von den niederländischen Beratern Loran Noteboom und Peter van der Meulen entwickelt und hilft Krankenhäusern, schrittweise den Wandel von der Abhängigkeit von individueller Mitarbeiterflexibilität hin zur systemischen Organisationsflexibilität zu durchlaufen. Dies erfordert die Einführung und Operationalisierung von vier Maßnahmenpaketen bzw. Bausteinen:
Das Konzept kann seine nachhaltige Wirkung nur entfalten, wenn die vier Bausteine gemeinsam umgesetzt werden. Die Maßnahmen am Arbeitsmarkt und die organisationsinternen Maßnahmen müssen stets auf einander abgestimmt sein. Interne Maßnahmen bei der Personaleinsatzplanung, wie Kapazitätsplanung oder die Etablierung eines Pools, werden nicht zum Erfolg führen, wenn nicht zusätzlich Mitarbeiter, die bereit sind örtlich flexibel zu arbeiten, angeworben werden.
Das Konzept beinhaltet demnach sowohl Maßnahmen, um am Arbeitsmarkt neue Mitarbeiter für die Flexreserve zu gewinnen, als auch Maßnahmen, um die Organisation selbst zu „flexibilisieren“. Dies geschieht, indem eingeschliffene, starre Einstellungs- und Planungsprozesse abgeschafft werden, und sich das Unternehmen für die Aufnahme neuer Pflegekräfte, mit individuellen Arbeitszeiten und zum Teil abweichenden Qualifikationen, öffnet.
Die Umstellung der Mitarbeiterplanung kann dazu beitragen, die Herausforderungen im Gesundheitssektor zu meistern. Schließlich kommen im Planungsprozess der Pflegebedarf und der verfügbare Einsatz von Pflegefachkräften zusammen. Wir haben eine bewährte Methode zur optimalen Koordination von Angebot und Pflegebedarf entwickelt. Damit der Patient - im Rahmen der Budgetmöglichkeiten - die beste Betreuung vom richtigen Mitarbeiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort erhält. Die Flexibilisierung der gesamten Gesundheitsorganisation spielt dabei eine entscheidende Rolle. Flexibilisierung ist ein kontinuierlicher Prozess, wobei Flexplanung, Dienstplanung, Kapazitätsplanung sowie Arbeitsmarktkommunikation und -rekrutierung integriert werden. In welcher Beziehung stehen diese 4 Grundelemente zueinander?
Kapazitätsplanung: Kapazitätsplanung bietet die Antworten auf folgende Fragen: Wer soll was, mit welcher Qualifikation, zu welcher Zeit und wie lange tun? Daraus ergibt sich ein Volumenbudget, das die Grundlage für eine pflegebedarfsorientierte Planung bildet.
Frei ist Frei greift in dieser Phase auf eine Reihe hochentwickelter Modelle zurück, um die jeweiligen personellen Ressourcen einfach mit den passenden Diensten verknüpfen zu können.
So entsteht der Basisdienstplan, auf dem wiederum der individuelle Dienstplan basiert.
Gleichzeitig bauen wir - parallel zum Basis-Einsatz - eine flexible Ebene auf, damit keine unnötigen Über- und Unterkapazitäten mehr entstehen. Ein solcher Flexpool muss so aufgebaut werden, dass Abteilungen sich bei jeder Art von Personalausfall sicher darauf verlassen können. Der Pool wird aus Mitarbeitern zusammengestellt, die ihre Arbeitszeit selbst bestimmen möchten. Als Gruppe deckeln sie die Lücken in den Dienstplänen der Stationen. Das Krankenhaus bestimmt dabei, wo der Einsatz stattfindet.
Das Flexbüro ist zuständig für den Auf- und Ausbau des Flexpools und die Betreuung der Flex- Mitarbeiter. Das Flexbüro sucht, findet, rekrutiert und begleitet durchlaufend neue Flex-Kandidaten. Die Flexer werden genau dort eingesetzt, wo der Pflegebedarf besteht. Als Arbeitsmarktportal bildet es die Brücke von der Organisation zum Arbeitsmarkt.
Einordnung des Flexbüros in die Organisation
Das Flexbüro nimmt eine strategische Position in der Gesundheitsorganisation ein. In der Praxis kann das Büro verschiedenen Bereichen zugeordnet werden: Es kann entweder direkt der Pflegedirektion untergeordnet werden, es kann aber auch beim primären Pflege-Prozess oder der Personal-Abteilung angesiedelt werden. Die beste physische Position des Flexbüros ist erfahrungsgemäß innerhalb des Bettenhauses und damit sowohl in der Nähe der Flex-Mitarbeiter als auch der Stationen.
Die Aufgaben des Flexbüros
Das Flexbüro ist für mehrere Bereiche zuständig.
Das Büro
Die Flexbüro „Crew“
Die Besetzung des Flexbüros sollte auf die Größe des Pools und die Art der Aufgaben abgestimmt werden. Die optimale Basis bilden jedoch drei Personen:
Der Recruiter, der sich mit der Anwerbung am Arbeitsmarkt beschäftigt. Der Disponent, der die Einsatzplanung der Flex-Mitarbeiter übernimmt und ein Koordinator/eine Leitung, der für die Betreuung und Weiterentwicklung der Flex-Mitarbeiter verantwortlich ist. Er steht in engem Kontakt mit den Stationen, um über Entwicklungen in Bezug auf die Planungslage immer informiert zu sein.
Die Arbeitsmarktkommunikation dient dazu, mit Kampagnen rund um das Thema individuelle Arbeitszeiten neue Potentiale am Arbeitsmarkt zu erschließen. Dabei werden gezielt Arbeitnehmergruppen angesprochen, die bei der Jobwahl ein großes Augenmerk auf flexible bzw. individuelle Arbeitszeiten legen. Das sind beispielsweise Zeitarbeiter, Eltern, Studenten, junge Pflegekräfte, die der freizeitbewussten Generation Y angehören, oder auch ältere Mitarbeiter, die ihre Arbeitszeit reduzieren wollen. Das Konzept nutzt die Möglichkeiten der modernen Arbeitsmarktkommunikation und beinhaltet eine umfassende Analyse und Optimierung des Online-Auftritts.
Rekrutierungsprozesse müssen so (neu) gestaltet werden, dass Bewerber nach der ersten Kontaktaufnahme schnell zum Vorstellungsgespräch eingeladen und angestellt werden können. Dauert der Prozess zu lange, werden sie von Zeitarbeitsfirmen „weggeschnappt“.
Es ist zu empfehlen, den Flexpool zunächst mit neuen Mitarbeitern, die von sich aus örtlich flexibel arbeiten wollen, zu füllen. Bestandsmitarbeiter von oben herab anweisen in den Pool zu wechseln stößt in der Regel auf Widerstand. Zudem bringen neue Mitarbeiter sofort Entlastung, was die Kooperationsbereitschaft der Belegschaft steigert.
Vielen Krankenhäusern fehlen strukturell Pflegekräfte. Auch für die Besetzung von festen Stellen können aus dem zusätzlichen Potential am Arbeitsmarkt, das mit individuellen Arbeitszeiten angesprochen wird, Kandidaten angeworben werden. Der Flexpool steht nicht im Wettbewerb zur „normalen“ Personalanwerbung, sondern beide sind Partner. Im Laufe der Zeit wird es vorkommen, dass Poolmitarbeiterin Abteilungen wechseln. Der Pool dient als Orientierungsstufe. Umgekehrt werden Mitarbeiter aufgrund veränderter Lebensverhältnisse von den Abteilungen in den Pool wechseln. Der Flexpool wird zum Portal zum Arbeitsmarkt, und zu einer Möglichkeit, Mitarbeiter langfristig und lebensphasengerecht an das Unternehmen zu binden.
Die Kapazitätsplanung dient dazu feinmaschig zu analysieren, welche Tätigkeiten in einer Abteilung zu welcher Zeit von wem gemacht werden müssen, um den Pflegebedarf zu abzudecken. Das Ergebnis ist ein Netto-Einsatzplan, ein Dienstplan noch ohne „Köpfe“, aber mit einer Verteilung der auszuführenden Aufgaben nach Zeit und Qualifikation. Hieraus ergeben sich Möglichkeiten, die Aufgaben so aufzuteilen, dass auch Flexkollegen, die nur bei Bedarf und/oder manchmal zu abweichenden Dienstzeiten da sind, oder abweichende Qualifikationen haben, sinnvoll eingesetzt und das Team entlasten können.
Nachdem sowohl eine Kapazitätsplanung durchgeführt, als auch eine ausreichende Flexreserve aufgebaut worden ist, kann eine langfristige Dienstplanung umgesetzt werden. Denn aus der Kapazitätsplanung sind pro Abteilung die flexiblen Einsatzmöglichkeiten und Bedürfnisse ermittelt worden, während die Flexreserve nun groß genug ist, um die benötigte Kapazität zu gewährleisten. Im gesamten Projekt müssen Kulturaspekte berücksichtigt werden. Flexibilisierung kann von der Belegschaft als Rationalisierungsmaßnahme wahrgenommen und durch eine veränderungsaverse Haltung blockiert werden. Andererseits fördert systemische Flexibilisierung Kulturaspekte, wie Transparenz, interkollegiale Wertschätzung und natürlich Flexibilität.
Objektivität
Durch die Kapazitätsplanung wird noch einmal genau analysiert, was von wem zu welchem Zeitpunkt wirklich gemacht werden muss, um die notwendige Pflegeleistung zu erbringen, und wo Flexkollegen sinnvoll eingesetzt werden können.
Stabilität
Wenn eine Flexreserve vorhanden ist, um Ausfälle zu kompensieren, müssen feste Mitarbeiter nicht mehr dauernd einspringen. Ihr Dienstplan ist verlässlich, und „frei“ ist „frei“.
Flexibilität
Wenn ausreichend Mitarbeiter im Pool vorhanden sind. die bereit sind, örtlich flexibel zu arbeiten, kann die Organisation flexibel auf Ausfälle und Belastungsspitzen reagieren. Interessanterweise erhöht sich dank der neu gewonnenen „Ruhe im Dienstplan“ im Laufe der Zeit die individuelle Flexibilität der festen Mitarbeiter wieder.
Attraktivität
Flexible bzw. individuelle Arbeitszeiten sind von vielen Arbeitnehmergruppen im gegenwärtigen Arbeitsmarkt gewollt. Wenn die Flexkollegen nutzbringend eingesetzt werden, wird die Organisation entlastet. Dadurch nimmt der Stress ab, es verbessert sich die Stimmung und damit auch das Arbeitgeber-Image!